Einleitung zur Arbeiten Hans Landsaats

Prof. Dr. Chr. Theuerkauff (Berlin)

Zur Eröffnung der Ausstellung "Unterwegs" in Galerie joho, Tübingen (D), 21. Februar 2004

Manchem von Ihnen wird nach seiner letzten Ausstellung 1999 in Tübingen - "Achterwaarts Reizen" - etwas von Hans Landsaats Werk bekannt sein, welches damals u.a. Eindrücke, Erinnerungen, Gedanken von seinen Australienreisen - Einsamkeit des Captain Sturt in der Wüste - bildhaft machte. Jochen Höltje und Hans Landsaat wählten für heute das Stichwort "Unterwegs".

Der erste und vielleicht auch bleibende Eindruck von vielen Bildern hier ist einer von Ernst und Konzentration, auch von Stille und der Fragen wert; kaum etwas scheint heiter, locker gelöst in Form und Farbskala in fast alle Formaten. Hans Landsaat reiste 2002 länger in der Mongolei - mächtige Gebirge, riesige Ebenen, stille kalte Seen, weniger Menschen in großer Weite. Und seit langem arbeitet der Amsterdamer oft im Atelier seines kleinen Fischerhauses an einem Polder-Deich im Süden Hollands nahe der Scheldemündung, umweit von Gent, Antwerpen: Weiden, Felder, Kanäle, Pappelreihen, die Küste, weiter Himmel.

Ohne etwas von seinen Vorwürfen, Orten, die er sucht, schätzt, ausforscht, zu wissen, ohne einige Kenntnis persönlicher Erfahrungen, Vorstellungen von unserem Dasein, von Wirklichkeit durch Kunst, seiner Skepsis gegenüber eindeutiger Wahrnehmung von sogenannter Realität und Wahrheit und des Bewusstseins von Einsamkeit ist es schwer, Vokabular und Kontext seiner Bilder - in seinem Sinn - zu erfassen. Anders als nach Paul Klees "Kunst macht das Unsichtbare sichtbar" tragen viele Bilder Hans Landsaats mit und über der präzis beobachteten und sensibel erfassten sogenannten Realität komplizierte Schichten und Bereiche von Gedanken, Assoziationen, Erinnerungen an den Betrachter, an denen Zweifel, auch Ängste mitwirken.

"This man loved earth, not heaven, enough to die", so eine Äußerung des nordamerikanischen Schriftstellers Wallace Stevens (1879-1953), die ich mir in einem kurzen Gespräch mit Hans Landsaat in seinem Atelier in Philippine, Zeeland, notierte. Kein hinweise auf Glaube, Jenseitiges bei Stevens.

Ich möchte hier einige Worte zu drei, vier Bildern sagen.

1. Bij het witte meerDas große Querformat "Bij het witte meer" von 2003 scheint diese Nähe zu unserer irdischen Wirklichkeit -von Natur, von Licht und begehbarer Landschaft und zugleich in die Irrealität zielender Weite zu bestätigen. Der weiße See -Tsagan Nuur- (Het witte meer) in der Mongolei: Links vorn repoussoirartig ein dunkel ansteigender Berg, zur Bildmitte hin hellere, bröcklig eisig wirkende Formationen, rechts wiederum -bis an den oberen Rand- ein mit schräg stehenden Stecken gespickter Berg, von denen und vor dem hellblau weißliche, wimpelartige Schwaden nach links wehen, welche in der Bildmitte unten bis zur unruhigen Uferzone in weiße Streifen - eher Wolken als Wasserzonen, vor allem über dem See - überzugehen scheinen. Hinten rechts eine z.T. von kegelförmigen Gebilden bestandene Landzunge, dahinter Berge, links lichtes Himmelsblau und dichte kühle Weißtöne über dem zart auslaufende Ufer: Himmel, Lift, Wind, Eis, Wasser, See gehen ineinander über, es ist eisig kalt, still.

Man kann sich im blaugrau weißen Hintergrund an chinesische Landschaftsrollbilder erinnert fühlen, der Maler war auf seiner Mongoleireise auch in China. Doch, wichtiger, das konkrete Motiv der Kegelform, deren grösste vorn im Profil, angeschnitten, das bestimmende Element des Bildes ist, ist ein Ovoo, ein Hügel, mit Fähnchen besteckt, wo die Menschen opfern, der Ahnen gedenken, wo sich individuelles wie gemeinschaftliches menschliches Schicksal- in weiter, karger Landschaft, oft existenzbedroht- höheren Mächten anheim gibt, anvertraut.

Also eine nur scheinbar ganz realistische Landschaft, in deren schwarz rötlich und blaugrauen, vor allem aber lichtbläulich weißen Tönen Ferne, Einsamkeit, Stille spürbar zu werden scheinen, sich reale Topoi mit Vorstellungswelten vermischen; Wimpel sind Wolkenstreifen, Himmel, Licht und eisige Wasser gehen in einander.

Mich erinnert dieses Bild auch wegen des hohen Augenpunktes hinsichtlich der Kombination reeller Naturwiedergabe und "Phantasie"-Landschaftsformen an holländische Gemälde des frühen 17.Jahrhunderts. -Neben weiteren lichten Querformaten -eines verkauft- malte Hans Landsaat im selben Zeitraum z.T. bedrohlich dunkel wirkende Berglandschaften in straffem Hochformat- einige hier zu sehen-, in denen Anstieg von Weg, Waldhang oder Bergrücken an das Ufer des weißen Sees oben links führen und in deren Varianten die lichtblauen Fahnen des Ovoo uns von der Realität des Bildes zu trennen scheinen. Wie gesagt, "Bij het witte meer" erinnert mich an die Ton in Ton angelegten Überblickslandschaften des bis 1635 tätigen Herkules Seeghers, dessen Sicht auch Rembrandts Landschaftsauffassung viel verdankt.

Spiegeln Form und Motiv des weißen Sees hier wie vor allem in den Hochformaten auch Sehnsüchte wieder, Ziel ernsteren Mühens in unendlich langem Aufstieg? Nicht nur in den einfacher bestimmbaren Werke der 1980er Jahre, als Hans Landsaat sich in Berlin - die Mauer in der, um die Stadt- und in der großen Natur im Norden Kanadas Übergänge zum ewigen Eis- dem Thema "Grenzen/Übergänge" verschrieb, auch hier am Weißen Meer überschreitet der Künstler Grenzen - Erinnerungen, Vorstellungen prägen das Bild, verwandeln die Ansicht der Landschaft.

2. Het binnen buitenAuch das auf der Einladung reproduzierte gedrungene Hochformat "Het binnen buiten" von 2002 (Das Innere nach außen) folgt, wenn man es so sagen darf, diesem Kanon Hans Landsaats, der Motivkombination von Ovoo und hellem oberen Bereich -ob Himmel, ob See- wobei eine auf dem Kopf erscheinende Wodkaflasche oben rechts, die ausgeschreckte Linke daneben, das linke Bein unten, Fußabdrücke links am Rand und alle kräftig, z.T. pastos gemalten Streifen und Bogenformen in kaltem Weiß-Grau-Blau, wenig Ocker, und die hier äußerst schmalen, fast lanzettförmig scharfen von den wenigen Stecken wehenden Wimpel den Betrachter den Bedeutungsgehalt, nicht nur den Inhalt des Kulthügels gleichsam in zweiter Realitätsschicht ahnen, ja lesen lassen.

So muss man auch die meisten der gar nicht zahlreichen Grundmotive bei Hans Landsaat wissen - Wolken und Wasser, Meer, Flussmündung, Brücken, das Boot - auch das in der australische Wüste - Vögel, Polder und Deich in Zeeland, die viele seiner Bilder in scheinbar unlogischem, nicht reellen Kontext zeigen:

3. Over de zeeman VSo hier das technisch versiert und grandios gemalte Querformat von 2003 "Over de zeeman V" -über den Seemann-, entstanden nach langen Gängen an Nordseestrand und den Deichen der Polder nahe der Schelde, in bewusster Distanz zur herben Farbigkeit und Großförmigkeit vorheriger Wüstenbilder.

Das dicht und undurchdringlich türkisgrünfarbene Meer mit zarten und luftigen Säumen aus Schaum der Wellen und gischtendem, fontänenartig heftigem Aufsprühen am nicht real fixierten Einschnitt von links (ein Wellenbrecher?) deutet trotz begrenzter Bildfläche Weite, Macht und Unerbittlichkeit des Elements an. Aus der z.T. -glasklar wirkenden, z.T. wie feste Schicht der Masse Wasser erscheinenden "windigen" Oberfläche ragt vorn ein Bootsgerippe hervor, ein kleines Boot schwimmt kieloben weiter rechts, und ein winziges am Rand rechts beweist in seiner Hilflosigkeit die unergründliche, gefährliche Macht und Vieles verbergende Fülle und Konsistenz des Wassers, das doch eigentlich -die Einschnitte, Kanten oben- bei aller Tiefe durchsichtig ist. Ein mögliches Sicherinnern an Gustave Courbets Wellendramatik vergeht sogleich vor der gänzlich anderen Qualität dieses Elements hier, das mehr die Idee als die sichtbare Wirklichkeit vorzustellen scheint. Das Bild ist ohne Himmel, es gibt keinen Horizont; Boote, Menschenwerk tauchen auf, gehen unter -Erinnerung, Vergehen.

An dieser Stelle möchte ich, ohne unmittelbare Zusammenhänge auch nur andeuten zu wollen, einige Künstlernamen nennen, deren Werk -so Hans Landsaat auf meine diesbezügliche Frage -für seine Auffassung von Kunst, zum Verhältnis zu alltäglicher Realität und Wahrnehmung wichtig sind: Franz Kafka und Witold Gombrowicz, die Beschränkung und Kompromisslosigkeit eines Giorgio Morandi, in der Musik Janacek, Schostakowitsch und Alfred Schnittke.

4. Het binnen buitenMit welcher Intensität Hans Landsaat -auch hier fast monomanisch- die Farbe, weniger das Disegno im Sinne von Linienbindung, im Bild als Ausdrucksträger innerer Vorstellungen - wahrlich keine wirklich treffende Formulierung - nutzt, bezeugt meiner Meinung nach: "De zee, de nacht, de bergen, de boot", auch von 2003, ein Beispiel für die Nutzlosigkeit der heute oft benutzten Antithese von Abstract und Figurativ.

Spitze Erd-, Bergformen ragen -eher Pyramiden als Segeln ähnlich- vom Meereshorizont auf, der bezeichnenderweise - der Erdkrümmung entsprechend? - leicht nach links absinkt; die tiefblaue Himmelszone wird rechts oben lichter. Links von der Bildmitte, sozusagen auf des Meeres Kante - ein auf Umriss, wenige Spanten und spitzovale Öffnung reduziertes Boot mit flaggentragenden Masten, aber ohne Segel. Wie Irrlichter die hellen, lichtweiß goldenen Pinselhäkchen, keine Punkte, keine Funken- auf der wogenden Wellen tintenblauen Wassers, welches links in großer Fläche grünlich verfärbt mehr Gischtweiß trägt. In dem für mich persönlich fast wie ein romantisches Bühnenbild (der Schinkelzeit), übersinnlich, auch ein wenig märchenhaft wirkenden Bild von einprägsamer Farbmacht erkennt der Betrachter auf den zweiten Blick, dass -völlig unrealistisch- die gelbgrünen Schräglinien vom Boot her wie materialisierte Strahlen der winzigen, bis aufs Meer herabreichenden Sterne wirken, die sich vor der Lichtzone über den Bergen konzentrieren. Sie scheinen nicht nur sich selber auf dem Wasser, sondern auch das verloren-einsame Boot in und auf dessen hellerer Oberfläche widerspiegeln, abbilden zu wollen, was aber -es gibt keinen Umriss, keine entsprechende Farbfläche - im Bild nicht real festgelegt ist. Es gibt auch keinen messbaren Raum, er wirkt eher universell wie das Licht in der Nacht auch nicht nach Quelle, Richtung richtig fixierbar ist. Und doch hat -für mich - das Bild bei aller Verlorenheit des ausgesetzten Bootes, aller Zweifel am Realitätsgrad etwas Beruhigendes, ja Tröstliches.

Anmerkung: seit dem Mittelalter, vor allem im Humanismus der Renaissance gilt das Segelschiff als Sinnbild des Lebens, in Kombination mit der Kugel Fortunas auch des - wandelbaren- Glückes.

Sie haben bemerkt, dass ich - als Kunsthistoriker im Barock zu Hause, nicht kundig, schon gar nicht versiert und mit den heutigen Kunstrichtungen bekannt oder vertraut- wenig Begriffe benutzte, zu beschreiben versuchte, was bei der Komplexität von Hans Landsaats Bildern, ihren immer aus Erlebtem, Gewusstem, Bedachtem, Geahntem, aus realem Abbild und freien Vorstellungen, auch ungewöhnlich reduzierten chiffrenartigen Gebilden zusammengesetzten Erscheinungsformen nur selten ihrer - für den Künstler - wahren Aussage gerecht zu werden vermag. Hans Landsaats Arbeiten sind, gerade auch hinsichtlich des Faktor Zeit, von Erinnern und zweifelndem Rückblick sehr persönlich in ihrer Aneignung und Schichtung von Wirklichkeiten.

PenseeltekeningenFür mich selber sind seine großformatigen Zeichnungen von unmittelbarer Eindrücklichkeit, ich möchte fast sagen lichter Klarheit und Eindeutigkeit - so man sein Vokabular erkannt hat - von großer ästhetischer Wirkung der Pinselführung, sinnvoller Leere von Fläche. Ob die mit dem Motiv des mongolischen Ovoo als Schrägform (Profil) gegen Weite und Präzision der Waagrechten von Wolken, Horizont, Wimpeln oder die Blätter mit schwingenden Bergrücken, vom weißen See mit seinen Ufern oder die mit diversen Zeeland-Motiven von Deich, Graben, Brücke, Vogel, Baumreihen, Wolken in chiffreartigen Kurzformen und unterschiedlichsten Kombinationen - sie alle bestätigen fast jeden Zeichners An- und Einsicht, aus einer sehr konzentrierten Haltung, was auch Bedenken bedeutet, in wenigen Strichen, Linien, Flecken in kurzem Augenblick Wesentliches - an Vorwurf oder Essenz der Dinge - in kraftvoll treffsicherer, seltener zart einfühlsamer, immer aber in spannungsreicher und endgültiger Form auf dem Blatt festzumachen - ohne Korrektur, ohne hinzufügen, ohne nachzubessern.

Neben Hercules Seeghers nennt Hans Landsaat Rembrandt als großes Vorbild - meint sicherlich auch und gerade den Zeichner, der mit wenigen Pinsel- oder Rohrfederstrichen an einer biblischen Gestalt geistige Ausstrahlung, Lebensalter, - Erfahrung, charakteristische Haltung verdeutlicht und ebenso eine einfache Landschaft unnachahmlich zu charakterisieren vermag. - Freiheit und Konzentration von Sehen und Gedanken, auch damit verfügbare, zusammenfassende Erinnerung an flüchtige Erscheinungen gewinnen überzeugende Form, die nicht langer Erklärung und Ausdeutung bedarf.

Vielleicht -und das wäre das Schönste für den Maler und Zeichner hier und ihm sicher willkommen- werden Sie mit unbefangenem Blick, offen und unbelastet sich zu den hier dank Jochen Höltjes Engagement gezeigten Bildern, Blättern äußern, auf Fragen Antwort heischen.

Ich glaube, man muss über und von Kunst sprechen, sich im Dialog eigener, zuweilen nur scheinbar unterschiedlicher, unvereinbarer Eindrücke vergewissern.